Das Salz der Seele

„Ich habe den Glauben an uns verloren.“ Der Satz stammt von dem brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado. Es ist das Zwischenfazit eines inzwischen 71 Jahre währenden Lebens, gezeichnet von der Suche nach den Ursprüngen der Liebe im Angesicht des Terrors und einer tiefen Enttäuschung in Bezug auf die menschliche Natur. Mit „uns“ meint er unsere Spezies, das Lebewesen Mensch als solches. Salgado hat wie kaum ein anderer das Leiden unserer Zivilisation dokumentiert und stilisiert. Seine Arbeit lebt von der Unmittelbarkeit, Salgado setzte sich selbst monatelang den Zuständen in Krisenregionen aus, um an seine Fotos zu kommen. Nachdem er 1994 den Genozid an den Tutsi in Ruanda und im Kongo fotografierte, brach er zusammen. Im Angesicht von Tod und Brutalität beschloss sein Körper, dass es genug war und wehrte sich. Zehn Jahre später machte sich Salgado erneut auf die Reise, in kleinen Propellerflugzeugen, zu Fuß, mit dem Schiff, im Faltkanu und im Fesselballon besuchte er Orte, an denen die Zivilisation noch nicht angekommen ist. Acht Jahre lang arbeitete er an seinem Projekt Genesis, fotografierte Vulkanlandschaften, Eismassen, Fluss-Canyons, nebelumhüllte Gebirgsketten, ursprüngliche Regenwälder und endlose Sanddünen, dokumentierte in opulenten Schwarz-Weiß-Aufnahmen die überwältigende Schönheit und die Artenvielfalt unberührter Natur und indigener Völker. 250 Bilder umfasst das Werk und die gigantische Ausstellung, die am Freitag Abend offiziell im C/O Berlin eröffnet und bis zum 16. August 2015 zu sehen sein wird. Am Samstag lädt das C/O außerdem in den Delphi Filmpalast zu einem ganz besonderen Event. In Anwesenheit Salgados gibt es ein Screening des beeindruckenden Dokumantarfilms „Das Salz der Erde“, in dem sich Wim Wenders und Salgados Sohn Juliano dem Schaffen des Brasilianers annähern. Im anschließenden Talk geht es im Dialog zwischen Salgado und dem Direktor des Potsdam Institute for Climate Impact Research Hans Joachim Schellnhuber um das Verhältnis von Mensch und Natur. Genesis stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Anfang oder Geburt. Es umschreibt die Erschaffung der Welt im biblischen Sinne. Vielleicht will uns Salgado an die Ursprünge zurückführen, von deren Perfektion und Reinheit wir uns so weit entfernt haben und gleichzeitig daran appellieren einen Teil des Planeten in seiner Ursprünglichkeit und faszinierenden Diversität zu bewahren. Vielleicht erschafft er sich mit seinen Aufnahmen harmonischer Flussläufe und friedlicher Wesen auch seine eigene perfekte Welt ohne Menschen – stilisiert, makellos schwarzweiß und wunderschön. Zumindest degradiert er den Menschen auf Statistenmaß, nicht mehr und nicht weniger wert, als alle anderen Bewohner des Planeten. Der Gedanke gefällt uns, Demut liegt darin aber auch der selbstverständliche Glaube an unseren Platz im göttlichen Gefüge. Salgado hat den Glauben nicht verloren. Im Gegenteil, aus seinem Werk spricht ein unermüdlicher Antrieb und eine Große Portion unverbesserlicher Liebe.
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Sebastião Salgado – Genesis | 18.04.-16.08. | C/O Berlin, Hardenbergstraße 22–24, 10623 Berlin | Vernissage: 17.04., 19 Uhr | co-berlin.org/sebastiao-salgado | Lecture 18.04., 12 Uhr im Delphi Filmpalast | Facebook Eventlink  | Credit: Sebastião Salgado, Ecuador 2004

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