Das 2 Minuten-Interview

Als Claudia Gersdorf zwei Jahre alt war, stellte ihr Kinderarzt die Diagnose „Infantile Cerebralparese mit Ataxie und Tremor“, umgangssprachlich bekannt als Spastik. Die Folge: Verkürzungen der Sehnen, Lähmungen, Zittern, Gleichgewichtsstörungen und Muskelschwäche. Wer Claudia Gersdorf einmal begegnet bekommt davon nichts mit. Alles woran man sich danach erinnert, ist eine unglaublich positive Energie, ein mitreißendes Wesen, Herzlichkeit und sehr viel Lachen. Wir kennen Claudi schon mindestens genauso lange, wie es uns selbst gibt. Und wie das immer so ist mit Lieblingsmenschen, früher oder später finden sie alle zueinander. Seit nunmehr fünf Jahren nämlich ist sie nun Kommunikationschefin und Pressesprecherin bei unseren Freunden von Viva con Agua. Zuvor managte sie pen paper peace e.V., leitete die Kampagne „Schulen für Haiti“ und arbeitete für Ärzte ohne Grenzen und Oxfam. Sie ist Mit-Initiatorin von Playback Berlin, sowie des ersten Campaign Boostcamps in Deutschland. Am 6. Mai wird sie eine der Keynote-Speakerinnen auf dem Emotion Womens Day sein, bevor sie sich ihrem wundervollen nächsten Lebensabschnitt widmet. Ende Juni wird zum ersten Mal Mama. Claudia Gersdorf, danke für deine Inspiration

Name: Claudia Gersdorf
Alter: 36 Jahre
Wohnort: Hamburg
Beruf: Pressesprecherin / Head of Communications
Schuhgröße: 38
Lieblingstagszeit: Sonnenuntergang
Kontakt: c.gersdorf@vivaconagua.org
Foto: ©Kathrin Spirk

Die ganze Welt hört dir zu. Was sagst du? Durch positive und fortschrittliche Kommunikation verändern wir die Welt und inspirieren die Menschen für Neues, zum Umdenken. Perspektivenvielfalt und Möglichkeiten für alle entstehen. Teilhabe, aktives Mitgestalten, Kreieren. Das kann ich mit und bei Viva con Agua leben. Für Veränderungen weltweit sind Investitionen notwendig, sowohl finanzielle als auch intellektuelle. Ich bin überzeugt davon, eines Tages den sogenannten „Spenden-Begriff“ ersetzen zu können durch „Investition“. Denn letztlich geht es nicht um einseitiges Geben und Nehmen, sondern vielmehr um das Ermöglichen von Perspektiven, die Basis für Leben und Fortschritt.

Eine gute Tat, die jeder sofort tun kann: Investieren kann jeder und zwar vom Sofa aus. Es ist so leicht, digital an der positiven Veränderung der Welt aktiv teilzunehmen. Ein paar Klicks im Spendenformular oder gar in den Sozialen Medien und schon sind wir unserer Vision, dass alle Menschen einen sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, näher.

Wann macht dich deine Arbeit glücklich? In der Erntezeit. Ich liebe es, zu pitchen und mit Journalisten, mit der Presse zu verhandeln, Geschichten zu entwickeln und abzustimmen. Am Ende dieses Prozesses steht dann die Erntezeit: Das Interview findet statt, der TV-Beitrag wird gedreht, die Quizshow geht über die Bühne. Dann werde ich nochmals richtig aktiv, fiebere mit, genieße das Ergebnis meiner Mühen. Am liebsten bin ich dann der Schatten des Protagonisten oder nehme selbst das Mikro in die Hand. Beides genial!

Das größte Problem deiner Generation? Unverbindlichkeit und Egoismus. Die Welt dreht sich nicht nur um unseren eigenen Bauchnabel. Und die Welt braucht nachhaltig Zuverlässigkeit in unserem Handeln, unseren Entscheidungen, unseren Investments. Das spiegelt sich auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen wider, finde ich.

Wann hast du zuletzt etwas Neues ausprobiert und was war das? Vergangenes Jahr habe ich mehrere Monate vom anderen Ende der Welt gearbeitet und hier meine Einstellungen, Ansichten, vorgefertigten Meinungen über Bord geworfen. Meine Arbeit und mein Privatleben haben davon zu 100 Prozent profitiert, sich in ihrer Qualität und ihrem Output um ein Vielfaches gesteigert. Mein Chef meinte: Ab jetzt arbeitest Du nur noch von einer Insel aus! So gut habe ich performt.

Für einen Tag wäre ich gerne einmal… Michelle Obama – und ein ganzes Stadion hört mir zu.

Was nimmst du dir schon länger vor, schaffst es aber irgendwie nicht? Meine Rede für einen TED Talk entwickeln, damit mir ein ganzes Stadion zuhört.

Wovor hast du Angst? Vor Langeweile. Ich bin ein sehr aktiver Mensch. Ich liebe Adrenalin und den Kick, welchen sowohl mein Beruf als auch mein Charakter mit sich bringen. Aktuell entdecke ich die Schönheit von Langeweile, indem ich mich ganz bewusst runterfahre und der Stille zuhöre. Ich stelle mich dieser Angst – so bin ich mit Ängsten schon immer umgegangen – und ich erfahre, dass Langeweile einfach wunderschön und nutzbringend sein kann.

Mit welcher Persönlichkeit würdest du gern mal einen Kaffee trinken? Maysoon Zayid. Die eleganteste, scharfsinnigste Komikerin, die ich mir vorstellen kann. In ihrem TED Talk, den ich allen hiermit sehr sehr sehr empfehle, stellt sie sich wie folgt vor: „Ich bin Palästinenserin, Muslima, weiblich, behindert und ich lebe in New Jersey. Ich habe 99 Probleme und CP (Cerebral Parese / Spastik) ist nur eines davon!“ Sie spielt mit dem Publikum, mit den Bildern und Stereotypen in den Köpfen der Menschen. Dabei ist sie gnadenlos ehrlich. Einfach genial!

Was würdest du ändern, wenn du die Macht dazu hättest? Unser Schul- und Bildungssystem. Noch immer beruht dieses auf einem unzeitgemäßen, traditionsbehafteten, „blinden“ Leistungssystem. Der Bessere, Schnellere, Schönere gewinnt. Bloß nicht aus der Reihe tanzen! Margret Rasfeld und Gerald Hüther zum Beispiel haben ganz hervorragende Alternativen entwickelt, um uns Menschen von klein auf hinsichtlich unserer Talente, Potentiale, Entwicklungsmöglichkeiten bestmöglich zu fördern. Genauso wie sich die Arbeitswelt und Arbeitskultur im Umbruch befinden und größtenteils schon verändert haben, schaffen wir das auch in den Schulen!

Wenn wir dich Zuhause besuchen, was würdest du für uns kochen? Das weltbeste Risotto. Ich habe lange Zeit in Frankreich und Italien gelebt, studiert, gearbeitet. La dolce vita und die italienische Küche sind in meine DNA übergegangen, wenn sie hier nicht schon längst schlummerten.

Wenn eine Fee dir eine Fähigkeit schenken könnte, welche würdest du wählen? Fliegen. Aus eigener Kraft, wie ein Vogel.

Was sollte niemand von dir wissen?
 Ihr könnt alles über mich wissen! Sogar, dass ich das Scheinwerferlicht und die große Bühne liebe. Ich liebe die volle Aufmerksamkeit. In meiner Kindheit und Jugend, ja auch später im Berufsleben, wurde mir das oftmals verwehrt. Das ist bei Viva con Agua und in meinem aktuellen Umfeld nicht mehr der Fall. Dafür bin ich sehr dankbar – genauso wie mein Umfeld.


Welche Frage hätten wir dir stellen sollen?
 Wann sehen wir dich auf der großen Bühne?

Das letzte Wort: Potential.