Victoria!

Victoria!

 
Was wurde nicht schon alles geschrieben über diesen wahnwitzigen Ritt, dieses „Husarenstück des deutschen Films“, den „besten Film seit Lola rennt“. In einem einzigen 140-minütigen Take erzählt der Regisseur Sebastian Schipper die Geschichte der Spanierin Victoria, die in einem Berliner Club vier schwere Jungs kennenlernt und mit ihnen bis zum Morgengrauen durch die Nacht zieht, Banküberfall und unzweifelhafte Dramen inklusive. In Zeiten von auf Hochglanz polierten, 100 Prozent fehlerfrei postproduzierten Hollywood-Produktionen werden Kinofilme zwar visuell immer besser, verlieren aber auch Intensität. Nicht auszudenken was beispielsweise ein Film wie Boyhood mit uns machen würde, wäre er nicht auf Fernsehzeitschrift-Ästhetik hochgeshopped worden. Oder welche Gruselwirkung ein Film wie Blair Witch Project ohne die verwackelte Handkamera noch auf uns gehabt hätte. Filmproduktionen sind kleinteilige Projekte mit unzähligen Beteiligten und Verantwortlichen, die damit beschäftig sind den Zufall auszuschalten. Was es bedeutet einen ganzen Film mit nur einer Kamera, ohne Schnitt und mit durcherzählter Story, Dialogen und Spiel durchzudrehen, kann man sich unter diesen Voraussetzungen kaum vorstellen. Was wenn sich die Hauptdarstellerin bei Minute 139 verplappert? Dann muss man ja alles nochmal drehen. Anders als beim Theater können die Darsteller nicht mal eben von der Bühne gehen und Luft schnappen oder verpatzte Dialoge mit einem Lächeln oder einer flapsigen Bemerkung ans Publikum auffangen. Dieser Ansatz ist so radikal wie genial und vollkommen zurecht unglaublich erfolgreich. Die Nähe und Unmittelbarkeit von Schippers Film hat etwa Magisches. Im Februar feierte der Film auf der Berlinale Premiere, nun endlich kann ihn jeder sehen. Er läuft in all unseren Lieblingskinos der Yorck Gruppe von Passage bis Delphi hoch und runter. Hingehen, hinsehen, durchatmen!
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Victoria – Film | Tickets  | Credit: Wildbunch Germany

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Kategorien: Produkte | Autor: | Datum: 17. Juni 2015 | Tags: , , Keine Kommentare

Wer wir sind.

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Wer wir sind.

„Das wird man doch wohl noch sagen dürfen, und daneben stehen erst recht! Und nichts dagegen machen, sowieso“. Wir schreiben das Jahr 1992. Wir befinden uns in Rostock, Stadtteil Lichtenhagen. Der gesamtdeutsche Freudentaumel der Wiedervereinigung ist Geschichte, der Kater schmeckt nach Perspektivlosigkeit, Verunsicherung, Arbeitslosigkeit, Langeweile und Frust. Ein Mix der nach Protest schreit, nach in Benzin getränkten Stofflappen riecht und hilflos, folgerichtig und kollektiv nach Schuldigen sucht, für die eigene Misere, oder einfach die Angst davor. Menschen aus dem Osten sind die Neuen, die Anfänger im Wertesystem des Kapitalismus. Erfahrungen aus 40 Jahren Lebenswirklichkeit wurden nicht assimiliert sondern quasi für ungültig erklärt. Es sind Stimmungen wie diese, die den Nährboden für Protest aber auch für diffuse Bedrohungsszenarien bereiten und Radikalen die Möglichkeit bieten auf kleinem Nenner eine größere Menge an Menschen zu erreichen. Das Spiel ist bekannt und funktioniert immer besonders gut im Interessenverbund von Beteiligten mit Hebelfunktion. Nicht selten und so auch in diesem Fall sind das Polemiker, Politik und Medien. Klingt irgendwie erstaunlich vertraut in diesen Tagen. In Rostock Lichtenhagen versammelten sich auf dem Höhepunkt einer mehrtägigen gewalttätigen „Protest“-Aktion gegen Asylbewerber und Zuwanderungspolitik über 3.000 Menschen vor dem Sonnenblumenhaus genannten Plattenbau, der als Wohnheim für ehemalige vietnamesiche Vertragsarbeiter diente. Es waren „nur“ einige Hundert von ihnen, die gewaltsam und mit Brandgeschossen bewaffnet randalierten, der Rest waren Schaulustige, die dabei standen und applaudierten. Gut 50 Jahre nach der Reichspogromnacht brannten in Deutschland Wohnungen von Menschen nichtdeutscher Herkunft. Die Bilder davon gingen um die Welt, das Foto eines Betrunkenen in Deutschland-Trikot und mit vollgepisster Jogginghose wurde zum Symbol eines hässlichen Deutschlands. „Wir sind jung, wir sind stark“ heißt der Film von Jungregisseur Burhan Qurbani, der sich feinfühlig und sensibel der Geschehnisse jener Tage annimmt, ohne konkret anzuklagen oder zu denunzieren. Der Film ist in weiten Teilen in schwarzweiß gedreht und beschreibt eine der schlimmsten zivilen Katastrophen der Deutschen Nachkriegszeit am Beispiel der Beziehungen gewöhnlicher junger Menschen und das moralische Versagen der Gesellschaft, sich um sie zu kümmern. Der Film läuft schon seit einigen Wochen in den Kinos und wird sicher bald von populäreren Formaten verdrängt. Unser Prädikat: angucken! Und zwar auf der großen Leinwand. Beispielsweise im Passage Kino in Neukölln. Wir verlosen 2×2 Kinokarten mit freier Platzwahl. Schreibt eine Mail mit dem Betreff ‚LÄUFT‘ an hurra@muxmaeuschenwild.de. Außerdem läuft der Streifen noch in zwei anderen Yorck-Lieblingskinos. Denn wie heißt es so schön, im richtigen Kino ist man nie im falschen Film. In diesem Fall gilt das doppelt.

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Film: Wir sind jung, wir sind stark | jungundstark.de/ | yorck.de/wochenprogramm | Trailer | Credit: Zorro Film