Sag mir was du siehst.

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Anton Corbijn ist ein Genie. Wie oft bis heute vergeblich versucht wurde, Stil und Farbeinsatz des scheuen Niederländers zu kopieren, ist unmöglich zu beziffern. Das Problem dabei ist, die Kopie beginnt an der falschen Stelle, denn es ist nicht nur der oft körnige, spontan unscharfe Look, der das Einzigartige an seinen Bildern entstehen lässt. Anton Corbijn sucht nach Spuren von Brüchigkeit in der makellosen Inszenierung und zeigt Musiker, Künstler und kulturelle Ikonen in ihrer tiefen Verletzlichkeit und intimen Vertrautheit. Mit seinen Porträts ohne den gewohnten Glamour stilisiert er die Anti-Pose und den Anti-Star. In engen und langfristigen Beziehungen mit den Künstlern verbunden, lotet er behutsam die Ambivalenz zwischen Image und Authentizität, zwischen Inszenierung und Realität, zwischen Akteur und Betrachter aus. Das ist unnachahmlich. Seine Aufnahmen von Musikern und Bands wie Joy Division wurden stilbildend für die Gruppen selbst. Den Look von U2 prägt Corbijn seit über 30 Jahren als Art Director, sämtliche Bühnenbilder der Depeche Mode Shows seit 1993 stammen aus seiner Hand, genauso wie die meisten Videos und Konzertfilme. Er drehte auch das legendäre Musikvideo zu Nirvanas Heart Shaped Box und viele weitere mehr. Sein erster Spielfilm Control erzählte in hypnotischen Bildern vom Leben und Sterben des Joy Division Sängers Ian Curtis. Es folgten ‚The American‘, ‚A most wanted Man‘ mit dem leider verstorbenen Philip Seymour Hoffmann und zuletzt ‚Life‘ über die Beziehung zwischen Fotograf und Star James Dean. Zum 60. Geburtstag von Anton Corbijn präsentiert C/O Berlin eine große Retrospektive mit rund 500 seiner Fotografien, Filmen und weiteren Exponaten. Hollands Deep zeichnet seine künstlerische Entwicklung nach und spiegelt die außergewöhnliche Vielfalt seiner Themen und verwendeten Techniken – von seinen frühen ikonischen Schwarz-Weiß-Fotografien bis zu persönlichen Projekten und konzeptuellen Serien. 1-2-3-4 zelebriert Anton Corbijns einzigartige Position in der Musikwelt und zeigt erstmals viele bislang unveröffentlichte Aufnahmen. Das Opening zur Ausstellung steigt diesen Freitag ab 19 Uhr im Amerika Haus. Neben Corbijn selbst werden noch einige prominente Weggefährten anwesend sein, Livemusik kommt von RY X. Tags darauf gibt es ab 12 Uhr ein Screening und eine Lecture mit dem Künstler im Delphi Filmpalast. Mögen die Corbijn-Festspiele beginnen.
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Anton Corbijn Retrospektive – Hollands Deep & 1-2-3-4 | C/O Berlin, Hardenbergstr. 22-24, 10623 Berlin | co-berlin.org/ | Facebook Eventlink Lecture | Foto: Anton Corbijn
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Kategorien: Erlebnisse | Autor: | Datum: 04. November 2015 | Tags: , , , Keine Kommentare

Lebensgroß

Lebensgroß

Anton Corbijn schafft Ikonen. Als Haus- und Hoffotograf von Bands wie U2 oder Depeche Mode schuf er überlebensgroße Heldengestalten in betörendem Braunschwarzweiß. Irgendwie hat der stille Niederländer ein Faible für diese von Blitzlicht und Schatten gezeichneten Figuren, nicht nur fotografisch, auch mit der Bewegtbildkamera nähert er sich immer wieder still und leise dem Kleinen im Leben der Großen. Dem traurigen Leben des Joy Division Sängers Ian Curtis beispielsweise schuf er ein filmisches Denkmal, das wie der Schlussakt im Schaffen des Sängers wirkt, der sich vor so langer Zeit selbst das Leben nahm. In seinem neusten Streifen wendet sich Corbijn dem größten Posterboy aller Zeiten zu. Er erzählt die Geschichte des jungen Celebrity-Fotografen Dennis Stock, der den damals gerade zum Star gewordenen James Dean auf einer Reise in dessen Heimat fotografisch begleitet. Während des Trips entstehen die meisten Bilder, die den Ruhm des nur wenig später tödich verunglückten Schauspielers auf ewig manifestierten. Von Stock stammt auch die wohl berühmteste Aufnahme von James Dean im Regen New Yorks mit hochgeklapptem Mantelkragen. Corbijn erzählt also in bewegten Bildern von einer Ikone, die durch ikonische Bilder genau dazu wurde. Das ist so simpel wie genial. Das dramatische Geschehen wird dabei so sehr verengt, dass es sich bisweilen anfühlt, als würde man tatsächlich in Fotografien blättern anstatt 24 oder mehr Bilder pro Sekunde vor dem Auge vorbeifließen zu sehen. Nicht falsch verstehen, statisch ist anders. Corbijn hat die Bewegung entdeckt und lieben gelernt. Den Blick für Komposition und leise Inszenierung hat er ja sowieso. Prädikat: großartig.
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Kinofilm ‚LIFE‘ von Anton Corbijn | z.B. im Babylon oder den anderen Kinos der Yorck-Gruppe | Foto: Caitlin Cronenberg

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Kategorien: Produkte | Autor: | Datum: 30. September 2015 | Tags: , , , , , Keine Kommentare