Die Wahl du hast.

Wedding, Gesundbrunnen, Schönhauser Allee…der Berliner S-Bahn-Ring ist eine tolle Sache. Nicht nur kann man nach einer durchzechten Nacht schlafend seine Kreise drehen, man kommt auch sehr praktisch und (die üblichen Unwägbarkeiten im Bahnverkehr mal ausgenommen) ziemlich effizient durch/um die Berliner Innenstadt. Was die meisten von uns im täglichen Gependel wahrscheinlich nicht mehr auf dem Schirm haben, ist die Tatsache, dass die eingangs genannten Haltestellen bis zum Jahr 1990 in zwei verschiedenen Ländern lagen und der Ring selbst erst im Jahr 2002 wieder vollständig geschlossen und befahrbar wurde. Geradezu absurd erscheint der Gedanke, diese Errungenschaft in Frage zu stellen. Kaum jemand würde ernsthaft auf die Idee kommen, zu behaupten, dass es in der Zeit, in der man einfach in seinem Teil der Stadt bleiben oder notfalls auf eine umständliche Tram-Bus-Fuß-Kombination zur Bewältigung der Passage ausweichen musste, irgendwie besser, irgendwie selbstbestimmter zugegangen wäre. Komischerweise jedoch passiert genau das gerade im europäischen Maßstab. Spätestens seitdem sich die Mehrheit der britischen Referendums-Wähler für den Austritt aus der europäischen Union und damit quasi für den Rückbau des S-Bahn-Rings (um mal bei dem Bild zu bleiben) entschieden haben, ist klar, dass wir es hier nicht mit einer marginalen, nostalgischen Diskussion zu tun haben, sondern die europäische Gemeinschaftsidee grundsätzlich und tatsächlich zur Disposition steht. Und mit ihr die Errungenschaften, die im Ergebnis stehen: 70 Jahre Frieden, Gleichheitsgrundsätze und Menschenrechte, demokratische Grundordnungen, Reise- und Meinungsfreiheit, Multilateralismus, Pluralismus – um nur ein paar zu nennen. Klar ist, der Zusammenschluss unterschiedlicher Parteien war, ist und bleibt eine gewaltige Herausforderung. Was es dafür vor allem braucht, ist eine gemeinsame Identität. Vieles in Europa – auch in Bezug auf das eben Aufgezählte – bedarf konstruktiver Verbesserung oder liegt gar im Argen. Je vielschichtiger und komplexer die Ansprüche, desto herausfordernder die Konsensfindung. Sich der Aufgabe jedoch komplett zu entziehen, indem man die Illusion vergangener Stärke beschwört und lautstark und polemisch die gesamte Idee in Frage stellt, ist nicht nur feige, sondern auch gefährlich. Wir sollten keine Angst davor haben, Teil einer komplexen Gemeinschaft zu sein, statt König in der eigenen Hundehütte. Wir sollten uns frei machen von Ängsten und Schuldzuweisungen. Wir sollten unsere Verantwortung zur konstruktiven Mitgestaltung erkennen und Freude daran haben, ihr nachzukommen. Die einfachste Möglichkeit dazu gibt es am Sonntag. Ihr habt die Wahl.

Foto: Markus Spiske

Kategorien: In eigener Sache | Autor: | Datum: 21. Mai 2019 | Tags: , , , , , , Keine Kommentare

Grenzenlos?

Als das Bündnis #unteilbar im Oktober letzten Jahres zur Demonstration von Zusammenhalt in Berlin auf die Straßen rief, folgten dem rund eine Viertel Million Menschen. Und auch, wenn einige trittbrettfahrende Gruppierungen zumindest am Rande für Diskussion sorgten, war der Marsch vor allem eines: ein starkes Signal der Gemeinsamkeit im Kampf für Gerechtigkeit und Demokratie im Angesicht von stärker werdendem Hass und politischem Autoritarismus. Doch auch nach der Demonstration bleiben die Fragen von #unteilbar virulent: Wie lassen sich soziale Herausforderungen und Anti-Rassismus zusammen denken? Wie korrelieren Identitäts- und Umverteilungskämpfe miteinander? Wie kann der aufkommende Rechtsautoritarismus erklärt, aber auch eingedämmt werden? Welche Allianzen müssten dafür geknüpft werden und was bedeutet heute Solidarität? Am 19. März schafft das HAU Hebbel am Ufer einen Raum, in dem diese Themen aufgefächert und vertieft werden können. Das Diskussionsformat, kuratiert vom #unteilbar-Team zusammen mit Missy Magazine-Herausgeberin Margarita Tsomou und der Soziologin Sabine Hark, ist als öffentlicher Think Tank gedacht. Am runden Tisch diskutieren unterschiedliche Akteurinnen und Akteure, darunter Max Czollek („Desintegriert Euch!“), IG Metall-Vorstand Uwe Meinhardt und Koray Yılmaz-Günay vom Migrationsrat Berlin-Brandenburg, über mögliche Potentiale von #unteilbar-Politiken. Den Auftakt bildet eine Diskussion zum selbstreflektorischen Thema „schwierige Solidaritäten“. Nach einem Impulsvortrag von Sabine Hark werden die Möglichkeiten und Schwierigkeiten solidarischen Handelns intensiv besprochen.
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#unteilbar Think Tank – Über schwierige Solidaritäten | 19. März 2019, 19 bis 21 Uhr, Einlass: 18 Uhr | HAU Hebbel am Ufer | Stresemannstr. 29, 10963 Berlin | Facebook | Foto: Stephan Guerra