Nackenstarre garantiert

Berlins moderne Straßenkunstgeschichte begann mit einem Baum. 1975 malte der wunderbare Ben Wagin seinen Weltbaum an eine Häuserwand am S-Bahnhof Tiergarten. Berlins erstes Mural, so heißen die großen hand- und / oder dosengemachten Wandbilder, veränderte das Gesicht der Stadt für immer und wurde zur Ikone eines urbanen Kunstverständnisses: Kunst findet auf der Straße statt, interagiert, provoziert, amüsiert, braut Brücken und schafft Dialog. Zwar werden gerade die hausgroßen, vergänglichen Bildwelten inzwischen immer häufiger von großen Marken mit Stern oder Label zu Werbezwecken genutzt, der Energie und Kreativität, mit der junge und etablierte Künstler ihre Werke an die Wände bringen, hat das keinen Abbruch getan. Ganz vorn dabei ist die Dixons Crew, die zuletzt mit „The Haus“ Stadtgeschichte geschrieben und für massenhaft Besucherströme gesorgt hat. Und weil das drinnen so gut funktioniert hat, machen sie jetzt draußen weiter. Mit dem Berlin Mural Festival feiern sie die Straße und ihre Kunst auf der größten Open Air Gallery, die Berlin je gesehen hat. Über 10.000 qm Fläche, kleine Wände, große Wände, Szene-Bezirke, echte Kieze, junge Künstler, Urgesteine, eine Gang, ein Bang, ein Fest. Zur Veranstaltung gibt es eine eigene App, die Hintergründe zu Motiven und den Künstlern und eine interaktive Straßenkarte liefert, die den schnellsten Weg zu den rund 30 Murals und den drei Party-Spots zeigt. Am Samstag gibt es gegenüber der East Side Gallery ab 14 Uhr feine Tanzmusik um die Ohren. Zeitgleich lässt die Blockparty in Kreuzberg den Hip-Hop Spirit wiederauferstehen. Der Paint Club an der Warschauer Straße lockt mit analogem Battlecharakter und Skatemoves. Zum Heavy End laden die Veranstalter am 21. Mai zur Closing-Party in eine verlassenen Fabrik ein. Ach ja, ein neuer Weltbaum entstand inzwischen auch. Das Ben Wagin Original muss nämlich nach bald 50 Jahren einem Neubau weichen und wurde von den Künstlern deshalb kurzerhand umgepflanzt. In diesem Sinne, Nackenstarre garantiert.
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Berlin Mural Festival | 19.05. – 21.05. | berlinmuralfest.de | Facebook Eventlink | Credit: millionmotions.com

URBAN NATION

Straßenkunst findet auf der Straße statt. Im Kontext der Gebäude und öffentlichen Räume, in dem die Kunst entsteht, entfaltet sie nicht nur ihre Wirkung, sondern erschließt sich oft auch erst der tatsächliche Inhalt. Darüber hinaus macht gerade die Flüchtigkeit der Werke für viele, nicht selten die Künstler selbst, den besonderen Reiz aus. Versuche, Street Art und Urban Art zu konservieren, zugänglich zu machen und im wahren Wortsinn  wertzuschätzen, enden nicht selten in unautorisierten Ausstellungen, blutleeren Galerien und millionenschweren, ausgefrästen Gebäudefragmenten an den Wänden ultrareicher Kunstverkenner. Wand auf Wand, signed by Banksy. Das URBAN NATION „Museum“, das am Wochende in der Bülowstraße in Berlin Schöneberg eröffnete, ist das alles nicht. Hier wurde ein Ort geschaffen, der die Kunst nicht zur Ausstattung degradiert, sondern für sie da ist. Der Raum gibt nicht der Kunst ein Heim, sondern entsteht anders herum erst durch sie. Wo sonst, als in Berlin könnte der Versuch gelingen, die Grenzen zwischen Straße und Raum, Kunst und Konsum, Leinwand und  Pinsel – repsektive Dose – derart verschwimmen zu lassen, dass daraus so etwas wie eine neue eigene Form der Darreichung entsteht. Bereits seit 2013 verwandelt URBAN NATION Berliner Fassaden in eine riesige Outdoor-Galerie und verbindet Menschen über die Kunst und Nachbarschaftsprojekte mit ihrer Stadt. Das nun geschaffene Museum soll zum Spielfeld und grenzüberschreitenden Verbindungsort zwischen Bewohnern, Kunstinteressierten und Kunstschaffenden werden, die hier Möglichkeiten der Entfaltung außerhalb von Auftragsarbeiten für Nike und Co. finden. Die Fassade des vom Architekturbüro Graft umgedachten Gründerzeithauses besteht aus mobilen Elementen, die immer wieder neu gestaltet und anschließend im Museum „konserviert“ werden können. Die Räume selbst durchwandern die Besucher wie auf einer Straße, um die Kunst sowohl von weitem als auch aus der Nähe betrachten zu können. In Workshops und stetem kreativem Austausch sollen immer neue Kunstwerke entstehen, sich Netzwerke spinnen und die Verbindung von Mensch, Kunst und Raum gefeiert und belebt werden, statt sie nur zu dokumentieren.
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URBAN NATION Museum | Bülowstraße 7, 10783 Berlin | Öffnungszeiten Di-So 10-18 Uhr | urban-nation.comFacebook

Urban Art analog

Urban Art analog

Über die IMAGO Camera im Aufbauhaus am Moritzplatz haben wir ja schon einmal ausführlich berichtet. Der riesige begehbare Fotoapparat ist der analoge Gegenentwurf zur digitalen Beliebigkeit, erbaut in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, zeitgemäßer und faszinierender denn je. Der Portraitierte betritt das Innere der Kamera um sich sogleich seitenrichtig selbst gegenüber zu stehen. Er allein bestimmt den Moment des Auslösens, den Sekundenbruchteil, der sein Ebenbild im Maßstab 1:1 auf lebensgroßes Fotopapier bannt. Das Imagogramm, das fertige Bild also, ist ein Unikat, nicht reproduzierbar, unveränderlich, zumindest mit den Werkzeugen moderner Bildbearbeitung, ein Blick in die Seele der abgebildeten Person. Die aktuelle Ausstellung IMAGO-Nation treibt das Prinzip auf die Spitze. Annegret Kohlmayer und Erika Borbély Hansen luden zehn renommierte Street Artists zum Fototermin nach Berlin. Darunter so Großformate wie Orble, El Bocho oder 2square. Anschließend baten sie die Künstler darum, die entstandenen Selbstportraits in ihrem Stil zu gestalten, zu bemalen, zu besprühen, zu erweitern. Wer sind die Persönlichkeiten, deren Tags, Graffitis, Zeichnungen und anonymen Botschaften die urbanen Landschaften prägen? Und wieviel sind sie bereit von sich preis zu geben, wenn es darum geht aus der Anonymität hervor zu treten und die eigene Identität zu inszenieren? Zu sehen sind die 200 x 60 cm großen Werke im Rahmen des Monats der Fotografie-Off Berlin vom 30.10. bis 30.11. im Showroom der IMAGO Camera in Kreuzberg. Heute Abend steigt die Vernissage in Anwesenheit der Künstler. Wer also immer schonmal einen echten El Bocho an der Wand haben wollte…legt ihm doch einfach mal eine Papierserviette samt Edding neben das Kaltgetränk. You never know! Und welch Vögelchen auch immer uns das gezwitschert haben mag, irgendwie spukt schon den ganzen Tag das Wort „Live Session“ in unseren Köpfen herum. Um 19.30 Uhr gehts los. Der Eintritt ist frei, also nüscht wie hin. Und bitte recht freundlich!

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IMAGO-Nation Ausstellung | Vernissage Mi. 29.10., 19.30 Uhr | Ausstellung Di. 30.10.-30.11.14, Mo-Sa 11-19 Uhr | IMAGO Camera im Aufbau Haus am Moritzplatz, Prinzenstrasse 85D, 10969 Berlin | imagocamera.com | Credit: Annegret Kohlmayer

mmw_(c)Annegret_Kohlmayer

Kategorien: Erlebnisse | Autor: | Datum: 29. Oktober 2014 | Tags: , , , , Keine Kommentare

Legend by Nature

Legend by Nature

COPE2 ist riesig, sprüht seit er zehn ist, kommt aus der Bronx und ist eine verdammte Legende. Kostprobe gefällig? Er designte eine Klamotten- und Accessoire-Kollektion für Adidas, Sneaker für Converse, sprühte eine Billboard-Werbung für das Time Magazine, gestaltete einen Baseball für den New York Yankee Star Derek Jeter und trat in Mark Eckos „Gettingup“ und Rockstar Games‘ „Grand Theft Auto IV“ auf. Er kuratierte erfolgreiche Street-Art-Ausstellungen und seine „bubbleletters“ und bunten Collagen gehen inzwischen bei Sothebys und Christies über den Auktionstresen. Word. Jetzt kommt der 2-Meter-Hühne für fünf Tage nach Deutschland, genauer nach Hamburg, genauer in die Hamburger Galerie, um am Freitag, den 31. Oktober seine erste Einzelausstellung auf deutschem Boden höchstpersönlich zu eröffnen. Word. Word. Seine Bilder sind dann für ganze zehn Tage exklusiv in der kleinen Galerie in der ABC Straße zu sehen. Am Sonntag dann verbringt COPE2 einen Tag mit Jugendlichen der Hamburger Therapeutischen Gemeinschaft für Suchtkranke „COME IN!“. Ausgerüstet mit Farben und Leinwand, gestaltet er gemeinsam mit ihnen eine Wand in der Turnhalle und lässt außerdem ein 2×4 Meter großes Graffiti entstehen, das in der alten Villa von „COME IN!“ seinen Platz finden wird. Fernando Carlo aka COPE2 weiß nämlich wovon er redet, oder besser gesagt malt. Nicht nur einmal geriet der Amerikaner puertoricanischen Ursprungs mit der Polizei oder seinen Street Art Kollegen aneinander. Er selbst ist dem Kreislauf aus Kriminalität und emotionaler Abhängigkeit mit Hilfe der Kunst entkommen. Der rechte Weg ist eben manchmal einfach bunt.

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COPE2 – Legend by Nature | Vernissage Fr. 31.10., Anmeldung zur Vernissage unter info@hamburgergalerie.de | Ausstellung 01.11-11.11. | Die Hamburger Galerie, ABC Str. 11, 20354 Hamburg | Eintritt frei | hamburgergalerie.de

mmw_COPE2

Kategorien: Hamburg | Autor: | Datum: 29. Oktober 2014 | Tags: , , , , Keine Kommentare

Greta Verhuelsdonk

 

mmw_Greta

Greta Verhuelsdonk

 

Das 2 Minuten Interview

 

Wenn man die Hamburger Galerie von Greta Verhuelsdonk betritt, kommt man sich vor wie in einer riesigen Sammlung Souvenirs einiger der besten Street Artists überhaupt. Der kleine Raum quillt quasi über vor bunten, collagierten, texturreichen Bildern und Installationen, Butch Anthony hängt neben Warhol, Banksy über Richard Scott und Maxim Wakultschik. Und mittendrin: Greta, fröhlich, herzlich, einnehmend. Wir lernten sie bei einem Weinmoment von GEILE WEINE kennen, für den sie uns und unseren alkoholischen Begleitern ihre Türen öffnete. Am 31. Oktober begrüßen wir gemeinsam mit ihr die Street Art Legende COPE2 zur Eröffnung seiner exklusiven Einzelausstellung in ihrer Galerie. Vielleicht finden wir dann auch heraus, warum die Großzügkeit des Schwergewichts aus der Bronx sie so berührt und warum es sie so glücklich macht.

 

Name: Greta Verhuelsdonk

Alter: Tagesform abhängig

Wohnort: Hamburg

Beruf: Galeristin

Schuhgröße: wechselt

Lieblingskünstler: Jackson Pollock

Kontakt: info@hamburgergalerie.de

 

 

Malst du selbst? Am liebsten ja, aber besser nicht.

 

Wie und warum wird man Galeristin? ART IS MY LIFE. MY LIFE IS ART.

 

Warum Street Art? Authentisch, echt und ehrlich.

 

Wann ist es Kunst, wann kann es weg? Liegt im Auge des Betrachters.

 

Wie geht die perfekte Ausstellung? Wenn ich das wüsste…

 

Was war dein größtes Erfolgserlebnis? Einen Prozess gegen einen hochkriminellen Betrüger zu gewinnen.

 

Der beste Rat den man die je gegeben hat? Ehrlich währt am längsten.

 

Welches Kunstwerk hättest du gern geschaffen? Die Schöpfung.

 

Das wertvollste Kunstwerk, dass du je verkauft hast? Wir steigern uns stets and the sky is the limit.

 

In welchen aufstrebenden Künstler sollten wir investieren? COPE2

 

Welche drei Bücher sollte jeder gelesen haben? Bibel, Fänger im Roggen, Doppelleben

 
 

Welcher Ort in Hamburg ist so schön, dass du niemandem davon erzählen möchtest? Geteiltes Glück = Doppeltes Glück

 

Rembrandt, Van Gogh, Picasso oder Warhol? Picasso

 

Mit welcher Persönlichkeit würdest gern mal einen Kaffee trinken? Angela Merkel

 

Wenn wir dich zuhause besuchen, was würdest du für uns kochen? Euer Lieblingsgericht kredenzt mit meinen Lieblingsweinen.

 

Was hat dich zuletzt wirklich bewegt? Die Großzügigkeit von COPE2.

 

Was hast du zuletzt Neues ausprobiert? Ich nehme keine Drogen.

 

 

Was sollte niemand von dir wissen? Dass ich stark bin, aber manchmal auch schwach.

 

Welche Frage hätten wir dir stellen sollen? Alles ok, ihr seid die Profis.

 

Das letzte Wort: 31.10.

 

Kategorien: Leute | Autor: | Datum: 22. Oktober 2014 | Tags: , , , , , Keine Kommentare